David Charlesworth war einer der ganz großen Lehrer im Möbelbau. Er selbst war vielleicht nicht ganz so bekannt wie beispielsweise James Krenov, aber sein berühmter »Ruler Trick« ist den meisten von uns ein Begriff. Leider ist er Ende Mai 2022 nach langer schwerer Krankheit gestorben. Ihm zu Ehren möchte ich Ihnen eine Technik zeigen, die weniger bekannt, aber mindestens genauso genial wie sein Linealtrick ist.
Ich durfte David 2011 bei seinem letzten Kurs in Deutschland persönlich kennenlernen. Noch nie zuvor und auch danach habe ich einen Handwerker kennen gelernt, der mit einer solchen Akribie und Genauigkeit wie er gearbeitet hat. Dieses hoch präzise Arbeiten hat er in seinen Kursen mit viel Geduld vermittelt.
Der Kurs damals hieß »Mehr als Schärfen«. Dabei wurde nicht nur das Schärfen und das »Tuning« von Werkzeugen gelehrt, sondern auch das Hobeln eines sägerauen Holzstückes auf wenige hundertstel Millimeter und anschließend das parallele Hobeln der gegenüberliegenden Seite des Brettes mit der gleichen Genauigkeit. Zum Schluss wurden noch die beiden Längskanten winklig gefügt.
Diese Technik möchte ich Ihnen heute zeigen, da viele der verwendeten Prinzipien und Techniken für das Hobeln im Allgemeinen gelten. Eine handgefügte Leimfuge bei Breitenverleimungen an Tischplatten oder Türfüllungen sieht deutlich schöner aus als eine maschinengefügte Fuge.
Perfekt gerade Brettkanten von Hand hobeln
Die folgenden Werkzeuge, die wir dafür brauchen, sind in einer Holzwerkstatt nicht immer vorhanden: Ein gutes Richtscheit oder Lineal, zum Beispiel ein Haarlineal und ein sehr präziser Winkel, zum Beispiel der kleine Kombiwinkel von Starrett. Zudem brauchen wir einen guten Metallhobel (z. B. Langer Schlichthobel Nr. 5). Der Standardhobel von David Charlesworth war ein Nr. 5 oder 5 1/2. Der Nr. 5 hat die ideale Länge, um Bretter bis 50 cm Länge perfekt zu hobeln. Für längere Bretter sollte auch ein längerer Hobel verwendet werden, ein Nr. 6, Nr. 7 oder sogar der Nr. 8. Wir brauchen auch zwei Bretter, die gefügt werden sollen. Beide sollten bereits mindestens auf einer Fläche perfekt abgerichtet (plangehobelt) sein.
Mit einer Messschraube wird die Spandicke gemessen
Das Hobeleisen darf bei dieser Technik nicht gerade geschliffen, sondern sollte leicht gerundet sein (ca. 0,05 mm). Dadurch können drei unterschiedliche Späne abgenommen werden, je nachdem wie der Hobel zur Brettkante positioniert ist. Ist der Hobel mittig über der Brettkante, so wird ein gleichmäßig dicker Span abgenommen. Wenn die Mitte des Hobels über die rechten Kante des Brettes geführt wird, so wird ein keilförmiger Span abgenommen und es wird auf der rechten Seite mehr abgenommen. Führt man den Hobel über die linke Kante, so wird auf der linken Seite mehr abgenommen.
Der Hobel sollte so eingestellt werden, dass er in der Mitte ca. fünf hundertstel Millimeter abnimmt. Sie können die Dicke des Spanes mit einer Bügelmesschraube oder einem digitalen Messschieber ermitteln.
Die Hobelsohlengeometrie eines Handhobels hat zur Folge, dass eine Kante konvex wird, wenn immer durchgängige Späne abgenommen werden. Wie ist es nun möglich, eine nahezu perfekt gerade Kante zu erzeugen?
Durch die »Rundung« nimmt der Hobel an den Rändern dünnere Späne ab
Die Idee von David Charlesworth ist es, keine durchgängigen Späne abzunehmen durch sogenannte »Stop Cuts«. Die Spanabnahme beginnt dabei kurz nach dem vorderen Brettende und endet kurz vor dem anderen Brettende. Macht man nun solche Stop Cuts bis der Hobel nichts mehr wegnimmt, hat man eine ganz leicht ausgehöhlte Brettkante. Die Tiefe dieser Aushöhlung ist durch die Hobellänge und die Spandicke, wie weit das Eisen aus der Hobelsohle steht, bestimmt. Ein kurzer Hobel erzeugt also eine tiefere Aushöhlung als ein langer. Darum muss die Hobellänge an die Länge des Werkstücks angepasst sein. In unserem Fall beträgt die Vertiefung ca. fünf hundertstel Millimeter. Messen kann man sie mit einem Lineal und einem Stück Papier als Fühlerlehre. Zigarettenpapier hat ca. 4 Hundertstel (0,04 mm), 80 g Kopierpapier ca. 10 Hundertstel, also ein Zehntel Millimeter. Das Zigarettenpapier rutscht in der Mitte des Lineals durch, das Kopierpapier nicht mehr. Anschließend werden noch ein oder zwei durchgängige Hobelstöße abgenommen, um die Hobelansätze am Anfang und am Ende des Bretts zu beseitigen. So entsteht eine nahezu perfekt gerade Kante.
Das Fügen von Brettkanten mit dem Handhobel
Nun kann die Kante noch verdreht und nicht im rechten Winkel zur Fläche sein. Wir prüfen die Winkligkeit an mehreren Stellen über die ganze Länge der Kante. Man kann dazu einen guten Schreinerwinkel nehmen oder einen noch genaueren Haarwinkel. Wir legen jedoch nicht wie üblich den kurzen Schenkel auf die Fläche und peilen über die Kante, sondern wir pressen den kurzen Schenkel auf die Kante und peilen über die Fläche! Dadurch wird der Winkelfehler durch den langen Schenkel auf der Fläche sozusagen multipliziert und besser sichtbar.
Am langen Schenkel sind die Ungenauigkeiten deutlicher zu erkennen
Codierung der Winkligkeit nach David Charlesworth
David Charlesworth benutzte zur Markierung der Winkligkeit ein ganz bestimmtes System. War eine Ecke zu hoch, dann wurde ein kurzer Strich über diese Ecke gezeichnet, war sie viel zu hoch, zwei Striche. War die Kante an der gemessenen Stelle winklig, so wurde ein Strich über die ganze Kante gezogen.
Mit diesen Markierungen als Orientierungshilfe werden nun durchgängige Späne abgenommen. Ist an der rechten Ecke ein Strich, wird der Hobel nach rechts verschoben. Läuft ein Strich über die ganze Kante, wird der Hobel mittig geführt. Wurde die linke Ecke markiert, wird der Hobel nach links verschoben. Sind an einer Ecke zwei Striche, so muss der Hobel zweimal über diese Ecke überhängend geschoben werden. Der Hobel wird also nur an den Stellen mittig geführt, die wir nicht korrigieren müssen.
Anhand der Markierungen wird der Hobel aus der Mittelachse verschoben
Die präzise gehobelte Fuge ist kaum zu erkennen
Stimmt die Winkligkeit auf der ganzen Länge, wird mit dem Lineal noch einmal geprüft, ob die Kante wirklich gerade ist und gegebenenfalls mit Stop Cuts korrigiert. Als kleinen Zusatztest können wir, beim Fügen einer Brettverleimung, die beiden Bretter aufeinanderstellen und kippeln lassen. Bleiben die Bretter nach wenigen Pendelbewegungen aufeinander stehen, dann passt die Fuge gut zusammen. Pendeln die Bretter länger, können wir die Passung noch verbessern.
Ich hoffe, dass noch viele Generationen von Holzbegeisterten von den Ideen und Methoden von David Charlesworth lernen können. Ich persönlich verdanke ihm viel! Peter Lanz, Leiter der DICTUM Kurswerkstatt München.